Immer wieder gab es seit 1917 Phasen, in denen der Westen erschreckt hochfuhr, weil er die sowjetrussischen Fertigkeiten unterschätzt hatte – der „Sputnikschock“ im Oktober 1957 war so ein Fall. Wenig später merkten westliche Experten im Allgemeinen, amerikanische im Besonderen, dass vieles, was sie im Oktober 1957 gefürchtet hatten, gar nicht vorhanden war.
Russland war und ist nicht nur ein Meister der Drohgebärde, sondern auch ein Virtuose der Täuschung. Kurz, es verfügt nicht in dem Maße über die Fähigkeiten, mit dem der Kreml prahlt.
Wladimir Putin versteht es gekonnt, die Schwächen und Selbstzweifel Amerikas auszunutzen, um sich vor dem eigenen Volk als wiederauferstandene Supermacht darzustellen. Übel daran ist, dass vor allem die Europäer den russischen Muskelprotz für echt halten und sich aus Furcht heraus eher verhalten, kleinlaut, wenn nicht sogar verschüchtert geben. Grund dazu haben sie nicht.
Ohne Zweifel: Russland tritt aggressiver als noch vor Jahren auf. Es nutzt jedes westliche Schwanken, um zum Teil mit Gewalt und herausfordernden Tönen in die Lücken zu fahren, die der Westen hinterlässt. Doch Russland ist zugleich eine Macht, die auf tönernem Untergrund ruht.
Auf dem Feld der konventionellen Kriegsführung ist es dem Westen unterlegen, ja, selbst im Cyberkrieg könnte Moskau Washington nicht schlagen, wenn die USA ähnlich handelten, wie Russland es derzeit tut. Mit anderen Worten: Moskau nutzt jede westliche Entscheidungsschwäche, wird aber eine offene kriegerische Konfrontation vermeiden.
Die Erkenntnis sollte dem Westen mehr Selbstvertrauen geben. Leisetreterei beflügelt Putin nur. Der Nato-Beschluss, den Awacs-Einsatz an der Südflanke auszuweiten, um den IS und natürlich auch Russland in Syrien zu beobachten, ist ein Schritt in die richtige Richtung – genau wie der Ratschlag des Nato-Generalsekretärs an Russland, sich an der Nato-Grenze zurückzuhalten. Fast täglich wird sie von russischen Schiffen und Flugzeugen verletzt.
Putin mag den Eisenfresser geben. Er ist dennoch kein Wagehals und Abenteurer. Er versteht die Sprache der Abschreckung. Sie wiederum ist nötig, um aus einer Position der Stärke heraus Entspannungssignale zu senden. Entspannung ist ohne Abschreckung nicht möglich.